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ICH HABE BERUFLICH MIT SUIZIDGEFÄHRDETEN MENSCHEN ZU TUN

Suizidalität ist ein komplexes menschliches Phänomen und Ausdruck einer persönlichen Krise, in die jeder Mensch geraten kann. Wenn Sie beruflich mit Menschen arbeiten, egal ob dies in Schulen, Tageseinrichtungen, Praxisfeldern der Sozialen Arbeit oder therapeutischen Einrichtungen ist, besteht die Möglichkeit, dass Sie mit Menschen in suizidalen Krisen konfrontiert werden. Für all jene Personen ist ein Grundverständnis der Motive und Hintergründe sowie der Psychodynamik, die diesem Verhalten zugrunde liegt, hilfreich und von großer Bedeutung. Suizidprävention setzt da an, wo suizidales Verhalten verstanden, wahrgenommen und offen angesprochen wird.

Die Erfahrung zeigt, dass Beobachtungen und Wahrnehmungen, die auf eine mögliche Suizidgefährdung hinweisen, nur dann direkt angesprochen werden, wenn ausreichend Sicherheit im Umgang mit der Thematik und Kenntnisse über Hilfsmöglichkeiten vorhanden sind.

Doch wie kann Suizidalität erkannt und in ihrem Ausmaß zumindest annäherungsweise eingeschätzt werden?

Im Folgenden werden stark gekürzte Auszüge aus dem Buch „Umgang mit suizidgefährdeten Menschen“ von Michael Eink und Horst Haltenhof mit freundlicher Genehmigung der Autoren verwendet.

Weder das Erkennen von Suizidalität noch die Beurteilung der hiermit verbundenen aktuellen Gefährdung ist mit absoluter Sicherheit möglich. Diese Feststellung verweist auf die Grenzen unserer Möglichkeiten, Lebensmüdigkeit stets sicher wahrzunehmen und suizidalen Handlungen immer erfolgreich vorzubeugen. Allerdings darf diese prinzipiell zutreffende Erkenntnis nicht dazu führen, dass wir leichtsinnig und ohne die erforderliche Sorgfalt mit lebensmüden Menschen umgehen.

Risikoindikatoren

Es gibt zahlreiche Merkmale, die auf Suizidalität hinweisen und zur Beurteilung des (aktuellen) Gefährdungsgrades herangezogen werden können. Gerade für Personen in psychosozialen Berufen ist es wichtig, diese erkennen und in ihrer Bedeutung einschätzen zu können. Allerdings ist auch die Kenntnis aller Risikomomente keine Garantie dafür, die Suizidalität eines Menschen sicher beurteilen zu können. So lassen sich nach vielen Suiziden sogar im Rückblick keine eindeutigen Warnsignale finden. Weiterhin sollte man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass die meisten Personen, für die eines oder mehrere der folgenden Merkmale zutreffen, nicht mit einer suizidalen Krise reagieren. Im Folgenden werden vier Bereiche benannt: Risikogruppen, Risikosituationen, Risikobefindlichkeiten und Risikosignale.

 

Risikogruppen:

  • allein lebende, vereinsamte, isolierte Menschen
  • ältere Männer (für Suizid) bzw. jüngere Frauen (für Suizidversuch)
  • arbeitslose Menschen
  • traumatisierte Menschen (durch Krieg, Folter, Verfolgung, Missbrauch)
  • Menschen mit psychischen Erkrankungen, insbesondere depressiven Störungen, schizophrenen Psychosen, Abhängigkeits- und Persönlichkeitsstörungen
  • Menschen mit zwei oder mehreren psychischen Krankheiten (Komorbidität)
  • Menschen in psychosozialen Krisen, vor allem bei schwerwiegenden Beziehungsproblemen
  • Menschen mit Suizidalität (insbesondere Suizidversuchen) in der Vorgeschichte
  • Suizide in der Familie und im näheren sozialen Umfeld
  • Menschen, die bereits mehrfach stationär-psychiatrisch behandelt worden sind, insbesondere wenn die Abstände zwischen den Behandlungen kürzer werden
  • Menschen mit lebensbedrohlichen (etwa Krebs, AIDS), schmerzhaften oder auf andere Weise stark beeinträchtigenden Erkrankungen (Tinnitus, dialysepflichtige Niereninsuffizienz etc.), insbesondere bei chronischem Verlauf

 

Risikosituationen:

Im Vorfeld suizidaler Handlungen finden sich häufig Beziehungsprobleme, Verlustereignisse, Kränkungen, Überforderungen privater oder beruflicher Natur sowie wirtschaftliche Schwierigkeiten. Hierzu zähle zum Beispiel:

  • Trennung Partner*in
  • Tod eines Angehörigen
  • Jobverlust
  • Kränkungen oder Zurückweisungen (Untreue, ausbleibende Beförderung)
  • Zeiten körperlicher und seelischer Veränderungen: Pubertät, Älterwerden, Menopause
  • Überforderung oder Überlastung (beruflich oder privat)

 

Risikobefindlichkeiten:

Gegenüber der Zugehörigkeit zu bestimmten Risikogruppen oder dem Auftreten bestimmter Risikosituationen ist die aktuelle Befindlichkeit ein sehr viel wichtigeres Kriterium für das Erkennen und Beurteilen der Suizidalität im Einzelfall. Da sich das Erleben und Verhalten suizidaler und depressiver Menschen in hohem Maße überschneidet, trifft ein Großteil der folgenden Merkmale für beide Befindlichkeiten zu.

Risikobefindlichkeiten, die auf Suizidalität hinweisen können:

  • Gefühle der Niedergeschlagenheit und Resignation
  • Hilf- und Hoffnungslosigkeit
  • Fehlen von Perspektiven und Sinn im Leben
  • Ohnmacht und Verzweiflung
  • Interesse- und Freudlosigkeit
  • vermindertes Selbstwertgefühl, Schuld- und Insuffizienzgefühle
  • Selbstvorwürfe und Selbstbestrafungstendenzen
  • Unerträgliche physische Schmerzen
  • Ärger und Wut, insbesondere wenn diese Gefühle unterdrückt bzw. gegen die eigene Person gerichtet werden
  • ausgeprägte Verminderung oder deutliche Steigerung des Antriebs
  • massive Angst- und Unruhezustände
  • gesteigerte Impulsivität
  • gravierende Schlafstörungen
  • anhaltendes und quälendes Grübeln
  • wahnhaftes Erleben (insbesondere Schuld-, Versündigungs-, Untergangs- und Verfolgungswahn),
  • akustische Halluzinationen (insbesondere beschimpfende, anklagende und zum Suizid auffordernde Stimmen)

 

Risikosignale:

Unter Risikosignalen versteht man verbale und nonverbale Hinweise im unmittelbaren Kontakt sowie Angaben des Betroffenen/der Betroffenen über Haltungen, Verhaltensweisen und Erlebnisse, die im Rahmen suizidaler Krisen auftreten können.

  • Direkte Ankündigung ( mit 75 Prozent sehr wahrscheinlich)
  • Vernachlässigung von früheren Hobbys und Gewohnheiten, die die Person als wichtig erachtet hat
  • Kontakte bekommen den Charakter von Abschiedsgesten
  • Regeln des Nachlasses
  • Verschenken persönlicher Gegenstände
  • Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Gesundheit
  • Riskantes verhalten (im Straßenverkehr, Risikosportarten, exzessiver Alkoholkonsum, Häufung von Unfällen etc.)
  • Sätze wie:
    • „Ich falle jedem zur Last.“
    • „Ich mache das nicht mehr mit.“
    • „Ich möchte, dass das alles aufhört.“
    • „Ich schaffe das nicht mehr.“
    • „Wenn ich mal nicht mehr (da) bin.“
    • „Mein ganzes Leben ist sinnlos gewesen.“
    • „Manchmal möchte ich nur noch schlafen.“
    • „Leben Sie wohl.“ (Statt: „Auf Wiedersehen.“)
    • „Wenn ich meinen Glauben nicht hätte, hätte ich schon längst aufgegeben.“
    • „Es gibt auch noch einen anderen Weg.“
    • „Ich will einfach Ruhe haben, nichts mehr hören und sehen.“

Haben Sie keine Angst bei Verdacht auf Suizidalität die Person offen, verständnisvoll und nicht wertend anzusprechen. Der Ablauf eines Gesprächs mit einem suizidalen Menschen kann keinem starren Schema unterworfen werden, da die Umstände recht unterschiedlich sind, und zwar sowohl was die psychische und/oder körperliche Situation des Klienten als auch was die Kompetenz und Handlungsmöglichkeiten des Helfers angeht.

Die Vermutung, ein Klient/eine Klientin könne sich in einer suizidalen Krise befinden, sollte ihm/ihr gegenüber direkt und konkret angesprochen und geklärt werden. Dabei ist es wichtig, möglichst offene Fragen zu stellen, Verständnis zu signalisieren und gelegentlich das Besprochene zusammenzufassen. Verharmlosungen und Dramatisierungen sind gleichermaßen fehl am Platz.

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